Himmelfahrt Christi - „Es ist gut für euch, dass Ich hingehe.“

In der Apostelgeschichte wird uns berichtet, wie die Apostel Jesus hinterherschauten, als Er in den Himmel aufgefahren ist. Sie standen da und „schauten unverwandt zum Himmel“. „Zwei Männer in weißen Gewändern standen bei ihnen“ und sprachen sie an: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel hinauf?“ (Apg 1,10f.)
Diese beiden Männer, wohl Engel, sahen offensichtlich Wehmut auf den Gesichtern der Apostel geschrieben. Mit Wehmut und Schmerz haben sie Jesus hinterhergeschaut. Sie unterlagen damals ja keiner Maskenpflicht, sodass man ihre Gesichtsmimik gut ablesen konnten. (Sie waren Persönlichkeiten und keine Maskenpuppen, welche zeitweise zu werden wir heute gezwungen werden.)
Aber man kann die Apostel da gut verstehen. Sie sind mit Jesus aneinandergewachsen, Er ist ihnen so teuer geworden. Er hatte ihnen vieles über das Himmelreich und über seine Sendung als Messias und Erlöser erzählt und dann wurde Er getötet. Vor Seiner Auferstehung haben ihre Knie vor Angst und Furcht gewackelt, wobei da, nach Seiner Auferstehung, wieder Hoffnung aufflammte – Er lebt! Und jetzt geht Er wieder weg. Da kann man es verstehen, dass ihr Herz geschmerzt hatte, denn jetzt mussten sie wieder die beseligende und beruhigende Gegenwart Christi vermissen.
Da erinnert man sich an das eine Wort, welches Jesus während der 40 Tage nach seiner Auferstehung einmal an sie gerichtet hatte: „Aber Ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass Ich hingehe. Denn wenn Ich nicht hingehe, kommt der Beistand nicht zu euch; wenn Ich aber hingehe, werde Ich ihn zu euch senden.“ (Joh 16,7.)
Doch da kann man sich die Frage stellen, wie konnte denn Jesus Seinen Jüngern sagen, es sei gut für sie, wenn Er sie nun verlasse. Man kann es sich sehr gut vorstellen, dass sie dieses Wort überhaupt nicht begriffen hatten. Aber Jesus gibt zugleich auch den Grund an, weshalb es für sie gut sei, wenn Er diese Welt (mit Seinem Körper) verlasse, denn sonst würde ihnen nicht der Heilige Geist gesandt werden.
Und hier erinnert man sich an die Geschichten aus unserem Leben. Wie haben wir z.B. das Radfahren gelernt? Oft war es doch der Vater oder der ältere Bruder, die dem kleinen Kind den Sattel gehalten hatten. Und das Kind fühlte eben Sicherheit, denn es wusste ja, dass es abgesichert sei und nicht umfallen könne. Aber irgendwann geht da die Hand weg, damit das Kind eben lerne und anfange, selbst Rad zu fahren. Analog war es oft auch mit dem Erlernen des Schwimmens. Ein Erwachsener aus der Verwandtschaft hatte einen gehalten, sodass man mit Händen und Füßen solange gerudert hatte, bis die Hand weggenommen wurde und man lernte, selbst zu schwimmen.
Und das betrifft sehr viele Bereiche des Lebens, wo die Eltern die Kinder irgendwann auf die eine oder andere Weise loslassen müssen, damit sie es selbst lernten und verständen, richtige Entscheidungen zu treffen. Während man vorher zu vielem noch angeleitet wurde, ist es wichtig, dass man sich Dinge Schritt für Schritt immer mehr auch geistig erschließen muss, damit man eben geistig wachse und zu einer selbstständigen echten Persönlichkeit werde.
So ist es auch in geistiger Hinsicht. Jesus sagt, dass es gut sei, dass Er sie verlasse. Aber in Kürze werde Gott auf eine andere Weise bei, mit und in ihnen sein. Denn der Heiligen Geist werde sie in alle Wahrheit einführen (vgl. Joh 16,13), sie inspirieren, unterstützten, anleiten, an die Anweisungen Jesu erinnern (vgl. Joh 14,26).
Aber die Apostel werden sich bei diesem Reifungsprozess vieles auch selbst erarbeiten müssen und können! So werden sie sowohl selbst ein vollwertiges Leben als Jünger Christi führen als auch segensreich in ihrem apostolischen Wirken werden können. Jesus entlässt Seine Jünger gewissermaßen in die Freiheit, damit sie nicht wie Kleinkinder keinen Schritt ohne die Eltern machten, sondern damit sie selbst an Weisheit und Verstand zunehmen und dann eben vieles sowohl durch Verstandesarbeit als auch durch praktische Erfahrung verstehen würden! Aber immer nur unter Rückbesinnung auf den Heiligen Geist und die Lehre Christi - das Prinzip der Apostolizität und Glaubenstradition!
Vor der Sendung des Heiligen Geistes am Pfingstfest hatten die Apostel ja noch Angst und fühlten sich überfordert. Aber es war auch gut so, dass sie ihre eigene Schwäche und geistige Armut sehen und sich dessen bewusst werden mussten. Aber umso intensiver haben sie dann nach Gottes Gnade gesucht und die betreffende Rückbesinnung vollzogen. Umso mehr haben sie gewusst, dass sie auf Jesus schauen müssen, der ihnen so viel gesagt hatte, was sie jetzt verstehen sollten. Die Herabkunft des Heiligen Geistes hat ihnen so viel Mut, Kraft und Stärke gegeben, dass sie nun anfingen, öffentlich Jesus Christus und Sein Heilswirken zu predigen, und diese fundamentale Glaubenswahrheit dann schlussendlich auch mit ihrem Blut bezeugten.
Wenn man dann auch auf das kirchliche Lehramt, die Päpste und Kirchenväter schaut, kann man sehen, wie viel an Durchdringung der göttlichen Wahrheiten im Lauf der Jahrhunderte da erfolgt ist und wie geistig extrem bereichernd an Verständnis in der Auslegung der Heiligen Schriften sich da angesammelt hat! Die ernste und gewissenhafte Beschäftigung mit dem Glauben in Orientierung und Rückbesinnung auf die Wahrheit Christi – Suchen, Beten, Danken – kann einer Gott liebenden Seele solche Erkenntnisse vermitteln, dass sie sich in der betreffend geschenkten übernatürlichen Freude ein Leben lang getragen fühlt! In der Gnade des Heiligen Geistes versteht man zwar endlich aber auf der anderen Seite auch nur das, was Jesus zuvor schon grundgelegt hatte.
Jeder junge Mensch muss im Prozess seines Erwachsenwerdens irgendwann lernen, selbst bestimmte Entscheidungen zu treffen, für die er dann natürlich auch die Verantwortung trägt. Aber nur so kann er leben. Zwar wird vorher vieles durch die Erziehung und die betreffenden Anweisungen der Eltern grundgelegt. Aber das Kind muss die Welt dann auch selbst entsprechend „entdecken“, damit es die gehörten Grundwahrheiten persönlich versteht und bewusst als wahr einstuft, um daraus dann die richtigen Schlussfolgerungen, die Entscheidungen im Leben, ziehen zu können.
Wenn die Mutter ihre Kinder zu sehr an sich binden und nicht in gesunder Freiheit in das eigene Leben entlassen sollte, dann werden solche Kinder nicht selten zu sogenannten „Muttersöhnchen“. Jesus will aber nicht, dass wir etwa auf eine solche Weise in unserer Persönlichkeitsentwicklung verkümmern, sondern dass wir in der Freiheit der Kinder Gottes wachsen und das Leben lernen, um überhaupt fähig zu werden, Ihn tatkräftig und aus tiefster Überzeugung heraus zu lieben! In Rückbesinnung auf die Lehre Christi und unter Anleitung des Heiligen Geistes können wir nämlich dazu gelangen, die überzeugte Festigkeit und tiefe Freude im Glauben zu erlangen, um so dann auch bei allen uns im Leben begegnenden Anfechtungen, Versuchungen und sonstigen Widerwärtigkeiten erfolgreich zu bestehen!
Wir sind verschiedenen Stimmungen des Gemütes unterworfen und stehen unter dem Einfluss unserer konkreten Lebensumstände. In manchen Situationen fühlt man sich bisweilen niedergeschlagen und ruft: „O mein Herr und Gott, wo bist Du? Warum stehst Du mir nicht bei? Ich fühle mich so verlassen und allein. Diese Aufgabe, die vor mir liegt, kommt mir wie ein hoher Berg vor – wie soll ausgerechnet ich ihn besteigen können? Ich bin doch dafür nicht genug vorbereitet und trainiert.“
Aber es ist gut, dass wir unsere Schwäche spüren, denn dann wird uns jeglicher Gedanke an irgendeinen Stolz oder die Überheblichkeit durch die betreffenden Lebensumstände ausgetrieben. Wir sollen dann aber keinesfalls in Depression und Hoffnungslosigkeit verfallen, sondern vielleicht gerade daran denken, dass dies eventuell eine erneute uns von Gott geschenkte Chance sein könnte, durch das Überwinden des betreffenden Hindernisses weiter zu wachsen und zu reifen! Denn so wird dann ja auch unsere Liebe zu Ihm zunehmen können und uns eine noch intensivere Gottesbeziehung ermöglichen!
Das Zusammenwirken zwischen unserer eigenen Willensfreiheit und der Gnade Gottes ist immer ein Mysterium. Man kann das eine nicht gegen das andere ausspielen. In jedem Fall ist dabei auch unsere Beteiligung erforderlich. Wir allein bewirken nichts, aber durch die Wahrheit Christi, durch die Inspiration und Wirkung des Heiligen Geistes in der Kirche können wir eine Menge erlernen. Es ist der Ruf Gottes, bei Lebensprüfungen nicht zu verzweifeln, sondern zu bedenken, ob uns der liebe Gott dadurch nicht einen Denkanstoß geben möchte, dass wir eventuell zu einem Mehr, zu einem noch stärkeren Glauben und zu einer noch tieferen Liebe zu Gott berufen seien. Denn wenn man das betreffende Kreuz trägt und die entsprechende Widrigkeit überwindet und dabei eben nicht den Kopf hängen lässt, dann wird einem ein neuer Bereich geöffnet, der einem vorher noch verborgen blieb.
In meinen jungen Jahren als Priester bin ich einmal in den Alpen gewesen und habe mich entschlossen, einen 1800-Meter hohen Berg zu besteigen. Ich war nicht trainiert und vorbereitet, aber der gesunde Ehrgeiz war da. Am Anfang lief alles wunderbar. Es war Sommer und warm, aber ich ging ja zunächst im Schatten durch den Wald. Aber nach dem ersten Drittel ging es auf das freie Gelände hinaus. Für erfahrene Bergsteiger ist das wohl nichts, aber für mich wurde es dann schon zu einer nicht unbeträchtlichen Herausforderung.
Als ich angefangen hatte, stark zu schwitzen, kam mir auch die Frage: „Macht das hier Sinn? Warum soll ich überhaupt den Berg hinauf?“ Aber dann habe ich Kinder gesehen, die vor mir den Berg hinaufgestiegen sind, und habe zu mir selbst gesagt: „Streng dich an! Zeig dich nicht so jämmerlich und erbärmlich und geh!“ Ich habe vielleicht zwei Stunden gebraucht, um auf die Bergspitze zu kommen und verbrachte da oben vielleicht nur 10 Minuten. Aber die betreffende Freude, die Widrigkeiten überwunden und das Ziel geschafft zu haben, kann man nicht mit Worten beschreiben. Man muss es selbst erlebt haben.
Doch das ist nur ein Bild für die geistige Freude, die sich uns öffnet und die wir vorher in der Regel gar nicht erahnen können. Vielleicht sollten wir an die Schwierigkeiten in der Überzeugung herangehen, dass mich der liebe Gott vielleicht so schwer prüft, um mich näher zu sich zu bringen und enger an sich zu binden. Vielleicht stellt die betreffende Situation sogar eine einmalige und einzige Chance dar, an etwas Wertvollem dazuzulernen, zu wachsen und noch intensiver Glaube, Hoffnung und Liebe zu leben!
Dann werden wir unter Rückbesinnung auf Christus und unter Anleitung des Heiligen Geistes befähigt werden, wirklich im Sinne Christi erwachsen zu werden und Ihn immer mehr und immer intensiver zu lieben. Die Apostel haben ihre geistige Armut vor Gott gespürt und auch wir sollen uns keinesfalls schämen, uns ihrer jeden Tag eingedenk zu sein.
Wenn wir den Heiligen Geist innständig um Seine Sieben Gaben bitten, dann werden wir ebenfalls im Leben die Erfahrung machen können, dass Jesus uns durch das Zulassen und Erleben von großen Bedrängnissen am effektivsten wachsen und reifen lässt. So führt der hl. Apostel Paulus zu diesem Thema geradezu feierlich aus: „So sollen die Heiligen zur Ausübung des Dienstes heranbilden, zum Aufbau des Leibes Christi, bis wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zur Mannesreife, zum Vollmaß des Alters Christi. Dann werden wir nicht mehr unmündige Kinder sein, die sich von jeder windigen Lehre, vom Trugspiel der Menschen und den Verführungskünsten des Irrwahns schaukeln und treiben lassen. Vielmehr werden wir uns an die Wahrheit halten und so in Liebe in jeder Hinsicht hineinwachsen in Ihn, der das Haupt ist: Christus. Von Ihm aus wird der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten durch jedes einzelne Gelenk, das seinen Dienst tut nach der Kraft, die jedem einzelnen Glied zugemessen ist. So vollzieht sich das Wachstum des Leibes, und er baut sich auf in Liebe.“ (Eph 4,12-16.)

P. Eugen Rissling

 

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